Winterprognose 2022/2023

Als Winterliebhaber versuche ich alljährlich bereits im Herbst aus diversen globalen Einflussgrößen der Atmosphäre und der Ozeane einen Trend für den gesamten Winterverlauf zu erkennen. Auch wenn sich der Begriff Prognose oder Langfristvorhersage eingebürgert hat, möchte ich darauf hinweisen, dass ein chaotisches System wie die Atmosphäre nicht „vorhersagbar“ ist. Die Treffsicherheit von Prognosen über mehrere Tage in die Zukunft ist mit den Wettermodellen dank der heutigen leistungsfähigen Rechner recht hoch. Langfristige Punktprognosen sind nicht möglich, sondern es lassen sich nur aus globalen Einflussgrößen wie etwa Zirkulationsmustern, Meerestemperaturen, Eisbedeckung usw. Trendeinschätzungen ableiten.
Bauernregeln sind in Zeiten des anthropogenen Klimawandels bedeutungslos geworden. 
Wetterzyklen, nach denen sich gleiche oder ähnliche Abläufe von Jahreszeiten  regelmäßig wiederholen, sind ein interessantes Beobachtungsfeld. Für meine Winterprognosen führen deren Betrachtung meines Erachtens zu keine Verbesserung der  Eintrittswahrscheinlichkeit. 
Gleiches gilt für und Wettersingularitäten, zu denen das regelmäßig auftretende Weihnachtstauwetter zählt, das  aber keine Rückschlüsse auf den ganzen Winter zulässt.

Meine Trendanalyse für den Winter 2022/2023 habe ich im folgenden Beitrag zusammengefasst.

 

Wie gewohnt gliedere ich meine Recherchen/Interpretationen in 3 Abschnitte:

– Wintereinschätzungen der experimentellen Langfristmodelle und kompetenter Wissenschaftler,
– subjektive Rückschlüsse auf den bevorstehenden Winter anhand von betrachteten globalen Einflußgrößen/Telekonnektionen und dem Ausgangsstand der Atmosphäre und Meere zu Winterbeginn inkl. Analyse des PW (Polarwirbel),
Resümee mit meiner persönlichen Wintereinschätzung.

Anders als Wetterprognosen, die den Kurz- und Mittelfristzeitraum betrachten,  sind Langfristprognosen mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Obwohl in den letzten Jahren mit leistungsfähigen Computern deutliche Fortschritte bei der Eintrittswahrscheinlichkeit der Modellsimulationen erzielt wurden, sind Langfristprognosen für den Alpenraum, nicht zuletzt wegen seiner topografischen Gegebenheiten,  nach wie vor besonders herausfordernd.
Fast alle Wetterdienstleister, die auch Saisonprognosen durchführen (das europäische EZ, das amerikanische CFS, NASA, Metoffice, NASA, DWD etc.), sind sich einig:
Der Wettertrend der steigenden Temperaturen, wird sich auch in diesem Winter fortsetzten. Keines der Vorhersage-Modelle simuliert einen „normalen“ oder gar „kühlen“ Winter. Einzig die ZAMG und des Atmosphärenwissenschaftlers Judah Cohen AER sind bei der zu erwartenden Temperaturabweichung im Ostalpenraum zurückhaltend (s.u.), während die anderen Modelle durchgehend von einem durchschnittlichen Anstieg von +0,5 bis +2,0 K bezogen auf die Referenzperiode 1991-2020 auszugehen.

 

1. Experimentelle Langfristmodelle:

Die Multimodellrechnung – Durchschnitt über die wichtigsten  Modelle (EZ, CFS/NCEP, DWD, MetOffice, MeteoFrance ….)- zeigt überdurchschnittliche Temperaturen und  vor allem im W und an der Alpennordseite  ein NS-Defizit: 

 

 

Die über die drei Wintermonate  D/J/F gemittelte Geopotentialabweichung ist deutlich positiv:

Dies spricht für wiederholte NS-arme Hochdrucklagen.

Die Simulationen der einzelnen Modelle sind auf der Copernicus-Plattform und bei meteociel.fr einsehbar. Der Kartenauschnitt, betrachtete Monate und unterschiedliche Parameter sind dabei frei wählbar.

Die einzelnen Modelle weichen kaum voneinander ab, lediglich das amerikanische CFS/NCEP fällt mit deutlich höheren durchschnittlichen Temperaturen aus der Reihe.

 

Der amerikanische Atmosphärenwissenschaftler Judah Cohen, der die Einschätzung des Winterwetters auf der NH (nördliche Hemisphäre) vor allem von den Vorgängen im PW (Polarwirbel), der Kopplungen zwischen Stratosphäre und Troposphäre und der AO (arktische Oszillation) ableitet, erwartet für den Winter  in europäischen Raum weitgehend durchschnittliche Temperaturen:

Quelle: AER

 

Die ZAMG geht bzgl. Temperatur ebenfalls von einem „Durchschnittswinter“ aus:

Quelle: ZAMG

 

2. Telekonnektion und betrachtete globale Einflussgrößen

Der Einfluss der Sonnenaktivität, die sich aktuell im Sonnenzyklus 25 im Anstieg befindet, ist in Zeiten der rasch voranschreitenden Erderwärmung vernachlässigbar. Die einhellige wissenschaftliche Meinung geht davon aus, dass sie von dieser überlagert wird:

Quelle: spaceweather

 

Im tropischen Pazifik herrschen, wie in den letzten beiden Jahren,  den gesamten Winter über LaNina Bedingungen, d.h. ENSO (El Nino Southern Oscillation) befindet sich in der Kaltphase. Erst im Frühjahr erfolgt der Übergang zu ElNino Bedingungen, was für die globalen Erderwärmung wieder einen „Schub“ nach oben bewirken könnte.
Die Auswirkungen von LaNina auf den pazifischen Raum und das Zirkulationsmuster/Jetstream über Amerika sind gut erforscht. Durch die dominierenden atlantischen Einflüsse in EU lassen sich keine belastbaren Auswirkungen auf zu erwartende GWL´s über EU ableiten. Es bleibt lediglich der globale „kühlende“ Effekt von LaNina, der allerdings auch von der Erderwärmung überlagert wird:

 

Quelle: NOAA

 

Die QBO (quasibinäre Oszillation) befindet sich in der Westphase,  was der Stärke der zonalen Zirkulation im stratosphärischen PW förderlich ist.  Die Wahrscheinlichkeit für ein MW (Major Warming) im Winterverlauf mit massiven arktischen Kaltluftausbrüchen in die mittleren Breiten wird dadurch reduziert:

Quelle: NASA

 

Die Abweichungen der Ozeantemperaturen zeigen die LaNina Konditionen im tropischen Pazifik und die deutlich überdurchschnittlichen Meerestemperaturen im nördlichen Pazifik, wo sich das für LaNina Bedingungen typische Hoch einnistet. Auffallend ist auch heuer die positive Temperaturabweichung im NA (Nordatlantik) entlang der amerikanischen Ostküste. Dies könnte aufgrund der thermischen Unterschiede zur Landmasse westlich davon zu verstärkter Tiefdruckentwicklung in diesem Bereich und damit einer Dynamisierung der atlantischen Frontalzone führen:

Quelle: NOAA

 

Die Ausdehnung der arktischen Eisbedeckung hat sich insgesamt  unterdurchschnittlich entwickelt, wobei das Defizit im Bereich Barentssee/Karasee am größten ist.  Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit für Blockierungen in den nördlichen Breiten, wie wir es auch derzeit erleben:

Quelle: Meereisportal

 

Die Schneedecke der NH ist im heurigen Herbst sehr unterschiedlich gewachsen. Im nordamerikanischen Raum liegen die Schneehöhen durch einen frühen und intensiven Wintereinbruch über dem Mittel, während über Eurasien ein Schneedefizit anzutreffen ist:

Quelle: NOAA

 

Eine Blockingsituation über dem Kontinent/Ural durch die frühe Ausbildung eines Kältehochs konnte sich im Herbst deshalb nicht ausbilden. Damit blieb, wie im vergangenen Herbst,  bisher die Dissipation von Energie planetarischer Wellen in die Stratosphäre weitgehend aus und der stratosphärische PW konnte sich gut entwickeln.

 

Aufgrund der Druckverteilung im November mit positiver Geopotentialabweichung über Barents-/Karasee, Skandinavien und ME/WE und gestörten troposphärischen PW (Polarwirbel) …………………….

 

 

…………………….. kommen auch im bis auf weiteres negativen AOI (arktischer Oszillationsindex) zum Ausdruck:

 

Auch der NOAI ist stark negativ (Atlantikblockade), dürfte sich aber in der zweiten Dezemberhälfte langsam normalisieren:

Quelle: NOAA

 

Die PW-Analyse von der Troposphäre bis in die Staratosphäre zeigt trotz eines Zonalisierungstrends eine Erhaltungsneigung der gestörten Zirkulation innerhalb des troposphärischen PW bis weit in den Dezember. Der nachfolgenden Vertikalschnitt des PW zur Wochenmitte zeigen einen PW-Split mit zwei Fragmenten über Ostsibirien und NO-Kanada, der vorübergehend bis in die Untere Stratosphäre reicht. In diesem Bereich befinden sich auch die polaren Kältereservoire und damit in großer Distanz zu EU:

 

Die auf GFS basierenden Simulationen des PW in die erweiterten Mittelfristzeitraum zeigen eine klare Erholungstendenz, allerdings bleibt das steuernde Fragment nach N versetzt und damit ungewöhnlich weit entfernt vom europäischen Sektor:

Quelle: stratobserve

 

Die simulierte Geopotential-/Druckverteilung innerhalb der NH aus dem aktuellen GFS-Modelllauf dokumentiert den PW-Split und den nachfolgenden „arctic outbreak“ (siehe meine letzten Analysebeiträge) an der Ostflanke des blockierenden Grönlandhochs, der auch den höheren Lagen des Alpenraums ab dem kommenden Wochenende einen winterlichen Wetterabschnitt mit Schneefällen bringen dürfte:

 

In der Stratosphäre in 10hPa  erfolgt durch andauerndes Upwelling am blockierenden Kontinentalhoch  eine deutliche Erwärmung über Ostasien im stratosphärischen PW. Es bleibt abzuwarten. ob sich daraus für den späteren Winterverlauf im Falle einer Kopplung zwischen Stratosphäre und Troposphäre Auswirkungen auf die troposphärische Zirkulation von oben ergeben:

 

3. Persönliches Resümee

Die Zusammenschau der behandelten Einflussgrößen und die Berücksichtigung der Ausgangslage in der Atmosphäre und den Ozeanen ergibt folgende subjektive Einschätzung des Winters 2022/2023:

Nach meinen Beobachtungen in den letzten Jahren führen die Auswirkungen des starken globalen Erwärmungstrends auf der Erde vermehrt zu  einem „winterfeindliches Zirkulationsmuster“ im europäischen Sektor mit zu milden Temperaturen und unterdurchschnittlichen Schneemengen.

Dies gilt speziell auch für den bevorstehenden Winter nach obiger Betrachtung der aktuellen Rahmenbedingungen.

Runtergebrochen auf die einzelnen Monate ist für mich  zunächst eine Fortsetzung der herrschenden zu Inversionslagen neigenden GWL -Wetterlage plausibel. Aufgrund der erhöhten Tiefdrucktätigkeit über dem heuer sehr warmen Mittelmeer ist in erster Linie südlich der Alpen mit Schneezuwachs zu rechnen. Die Wettermodelle (GFS, IFS des EZ) haben sich in den letzten Tagen angenähert und modellieren eine ähnliche Entwicklung.
Auch wenn es sehr spekulativ ist, erwarte ich

– spätestens um die Weihnachtszeit  das Durchbrechen echter Westlagen (mild in den Niederungen, Schnee im Bergland)
– und im Jänner einer Tendenz zu inversionsanfälligen SW-Lagen, die sich auch im Februar die Oberhand behalten. Kaltlufteinbrüche mit Schneefällen bis in die Niederungen sind zwar möglich, aber wahrscheinlich nur von kurzer Dauer.

Im Spätwinter oder auch erst im März könnte dann der oben angesprochene Energieeintrag in die Stratosphäre mit  „minor warmings“ oder einem – zwar unwahrscheinlichem – MW zu einer  Meridionalisierung der Zirkulation in der Troposphäre mit arktischen Kaltluftausflüssen in die mittleren Breiten der NH führen. Sowohl eine winterliche Phase als  auch eine milde Vorderseitenlage bzw. ein Wechsel von beiden Wetterlagen ist dann in ME möglich.

Gemittelt über alle drei Wintermonate erwarte eine positive Temperaturabweichung von 0,5 – 1 K zur Referenzperiode 1991-2020 und damit einen deutlich zu milden Winter,  nicht zuletzt, weil sich über den nahen Kontinent bis Winterbeginn kein Kaltluftreservoir entwickeln konnte.
Der Wettercharakter dürfte insgesamt von einer Hochdruckdominanz mit unterdurchschnittlichem NS geprägt sein.

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