Das Frühjahr 2021 wird als eines der kältesten in den letzten Jahrzehnten in die Klimastatistik eingehen. Auf eine mögliche und für mich plausible mitverantwortliche Ursache werde ich weiter unten im Beitrag eingehen. Mir ist es aber ein großes Anliegen zu erwähnen, dass nun, wie man es in den Massenmedien immer wieder liest, der Klimawandel an keinem Wendepunkt angelangt und abgesagt ist. Das ist kurzweg reiner Populismus und falsch! Kalte Ausreißer mit unterkühlten Wetterperioden über mehrere Wochen oder auch eine gesamte Jahreszeit gibt und gab es immer wieder und sind kein Widerspruch zum Klimawandel. Das Wetter (der kurzfristige Zustand der Atmosphäre über einem topografischen Gebiet) wurde in ME in den Monaten April und Mai 2021 durch eine ungewöhnlich persistente Erhaltungsneigung der Druckstrukturen in der Atmosphäre bestimmt, wie es in klimatischen Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten nur selten vorkommt. Für Rückschlüsse auf das Klima ist ein derartiges Einzelereignis nicht geeignet. Der Klimawandel findet außerdem global statt und schreitet ungebremst voran.
Ein meiner Meinung wesentliches Ereignis, das wesentliche Voraussetzungen für das unterkühlte Frühjahrs 2021 geschaffen hat, hat bereits im vergangenen Herbst 2021 stattgefunden. Ein ausgeprägtes und langanhaltendes kontinentales Hoch, das mit einem Keil ins Polarmeer reichte (Uralblocking), bewirkte eine langandauernde Ablenkung des Jetstreams. Dabei kam es zu andauernden Energie-(Wärme)transfer von der Troposphäre in die Stratosphäre.
Auf dieses Phänomen bin ich schon in verschiedenen Beiträgen eingeganen. Der Atmosphärenwissenschaftler Judah Cohen, der alljährlich im Winterhalbjahr die Kopplungsprozesse zwischen Troposphäre und Stratosphäre mit den Auswirkungen auf das Winterwetter der NH (nördl. Hemisphäre) analysiert, sieht in diesem Energietransfer einen wichtigen Treiber für ein mögliches Major Warming in der Startophäre (midwinter SSW), das im Kernwinter bis ins Frühjahr massive Auswirkungen auf die Troposphäre und damit das Wettergeschehen hat.
Nachfolgende Karte dokumentiert die mittlere Geopotentialabweichung (ähnliches Bild bei den Abweichungen des LD´s) für die Monate 10.-11.2020 und zeigt die Blockierung vom Ural bis ins Polarmeer :
Die Auswirkungen im stratosphärischen PW (Polarwirbel) stellten sich dann im Jänner 2021 ein.
Das Wetterphänomen einer „großen“ Stratosphärenerwärmung/Major Warming ist seit den 1950-iger Jahren bekannt. Es wurde allerdings noch nie beobachtet, das 2 unmittelbar aufeinanderfolgende MW`s innerhalb weniger Wochen auftraten. Man hat deshalb keinen Vergleich für die Auswirkungen eines derartigen Doppelereignisses auf das Wetter in den Folgemonaten, aber dieser Umstand könnte die mögliche Ursache für das kühle Frühjahr im Alpenraum sein.
Beide Stratosphärenerwärmungen mit Zonalwindumkehr ereigneten sich im Jänner 2021.
Nachfolgende Karten zeigen exemplarisch die Temperaturabweichungen im stratosphärischen PW der NH in ca. 32km (10hPa) Anfang Jänner und in der zweiten Jännerhälfte:
Quelle: NOAA
Diese Erwärmung über der Polarregion des stratosphärischen PW haben zu einer massiven und lang andauernden Strörung der stratosphärischen Zirkulation geführt.
Die gemittelten Zonalwinde am 65-igsten Breitengrad in dieser Höhe, die bei einem intakten PW von W nach O wehen, kehrten sich über Wochen auf O nach W um:
Quelle: Albany.edu
Als Folge erfolgte ein PW-displacement in die mittleren Breiten (Sibirischer Kontinent bzw. Nordatlantik) in der Stratosphäre. Die „downward propagation“, Kopplung mit der Troposphäre, schaffte im Geopotentialfeld auf 500hPa nachhaltige Strukturen mit einem über im Frühjahr ausgeprägten und sich immer wieder regenerierenden Hochdruckgebiet über Grönland (Grönlandblocking).
Massgeblich für die hohe Persistenz dieser Druckstruktur verantworlich war auch das Verhalten des stratosphärischen PW nach den starken Erwärmungen im Jänner. Statt, was ich erwartet hätte, dahinzuschwächeln und im Frühjahr im „Final Warming“ mit Umstellung auf sommerliche Zirkulation zu münden, lief der PW zu einer ungewöhnlichen Hochform auf, wie es in seinem Beobachtungszeitraum für diese Jahreszeit einmalig ist. Er stabilisierte sich, kühlte sich mangels weiterer vertikaler Wärmeflüsse extrem stark ab und verlängerte die Winterzirkulation bis Anfang Mai (siehe Zonalwinde weiter oben).
Exemplarisch eine Karte von März 2021 mit der Temperaturabweichun g in 10hPa:
Beide beschriebenen Ereignisse – starke Stratosphärenerwärmungen im Jänner und nachfolgender Stabilisierung mit Abkühlung des stratosphärischen PW und gleichzeitiger Entkopplung von der Troposphäre – sind neben anderen Einflussgrößen (LaNina, Sonnenfleckenminimum, thermohaline Zirkulation, niedrige Ozonkonzentration …) mitverantwortlich für das kalte Frühjahr im europäischen Sektor. Der Jetstream, der normalerweise über Südgrönland/Island von W nach O verläuft – und damit die atlantische Frontalzone – wurden durch das Grönlandblocking nach S abgedrängt. Der südlichere Verlauf bewirkte zyklonal geprägtes und viel zu kühles Wetter im nördlichen Mittelmeerraum und in ME. Siehe auch Blog des Meteorologen Kurt Hansen.
Gemittelte Temperaturanomalie 04.-05. 2021:
Zurück zum derzeitigen Wetter mit einem kurzen Ausblick. Wie schon in meinen letzten beiden Prognosebeiträgen bahandelt, endet der Mai unbeständig und unterkühlt. Aber pünktlich zum meteorologischen Sommerbeginn wird eine Normalisierung des Temperaturniveaus durch eine langsame Umstellung der GWL eingeleitet. Sommerliche Hitze ist jedoch (noch) nicht in Sicht.
Hallo, Herr Zeiler!
Ich hörte, dass es im letzten Jahr vermehrt vulkanische Tätigkeiten auf der Erdkugel gab. Können Ihre Quellen das bestätigen und falls ja, könnte das nicht auch Einfluss auf das Wetter der letzten Monate gehabt haben?
lg
Bertl K.
Servus,
sicherlich ein zu berücksichtigender Aspekt. Natürlich können Vulkanausbrüche das (lokale) Wetter beeinflussen. Bei kleinen/mittleren Ausbrüchen bleibt die Vulkanasche nach einem Ausbruch innerhalb der Troposphäre (ca. 10 Kilometer), sinkt recht schnell innerhalb von Tagen wieder ab bzw. wird vom Regen aus der Atmosphäre ausgewaschen. Kleinen Ascheteilchen können auch als Kondensationskerne dienen und somit die Wolkenbildung begünstigen. Der Einfluss auf das Wetter ist nur temporär.
Erst wenn die Vulkanaschewolke bis in die Stratosphäre (ca. 10-40 Kilometer) hinein reicht, verweilt sie dort aufgrund des geringen vertikalen Luftaustausches für eine längere Zeit. Dadurch wird ein Teil des Sonnenlichts zurück in den Weltraum reflektiert und die Erwärmung der Erdoberfläche reduziert.
Mir ist kein derartiges Ereignis in den letzten Monaten bekannt, weshalb ich nicht glaube, dass ein Vulkanausbruch Mitverursacher des kühlen Frühjahrs bei uns ist.
Ein heftiger Vulkanausbruch mit starker Auswirkungen auf die Temperatur ereignete sich 1815. Der Ausbruch des Tambora in Indonesien gilt als der größte Vulkanausbruch der vergangenen 1.500 Jahre. Es wurde eine derart große Menge an Partikel in die Stratosphäre geschleudert, dass 1815 auf Grund der dadurch verursachten niedrigen Temperaturen als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte einging.
Ein weiteres Beispiel für massive Auswirkungen von Vulkanausbrüchen auf das Klima ist die kleine Eiszeit im Mittelalter. Näheres dazu siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Kleine_Eiszeit#Gesteigerte_vulkanische_Aktivit%C3%A4t
Gruß, Franz