Als Winterliebhaber versuche ich alljährlich bereits im Herbst aus diversen globalen Einflussgrößen einen Trend für den gesamten Winterverlauf zu erkennen. Auch wenn sich der Begriff Prognose oder Langfristvorhersage eingebürgert hat, möchte ich darauf hinweisen, dass ein chaotisches System wie die Atmosphäre nicht „vorhersagbar“ ist. Es lassen sich nur aus globalen Einflussgrößen wie etwa Zirkulationsmustern, Meerestemperaturen, Eisbedeckung usw. Trendeinschätzungen ableiten. Meine Trendanalyse für den Winter 2021/2022 habe ich im folgenden Beitrag zusammengefasst.
Wie gewohnt gliedere ich meine Recherchen/Interpretationen in 3 Abschnitte:
– Wintereinschätzungen der experimentellen Langfristmodelle und kompetenter Wissenschaftler,
– subjektive Rückschlüsse anhand von betrachteten globalen Einflußgrößen/Telekonnektionen und dem augenblicklichen Zustand der Atmosphäre zu Winterbeginn auf den bevorstehenden Winter,
– Resümee mit meiner persönlichen Wintereinschätzung.
1. Experimentelle Langfristmodelle:
Die Multimodellrechnung – Durchschnitt über alle angegebenen Modelle – zeigt überdurchschnittliche Temperaturen, ein auffälliges O-W Temperaturgefälle und vor allem im S ein NS-Defizit:
Quelle: Copernicus
Die einzelnen Modell (z.B. das europäische ECMWF, das amerikanische NCEP, DWD etc.) weichen kaum voneinander ab, lediglich das japanische Modell fällt mit durchschnittlichen Temperaturen aus der Reihe.
Der amerikanische Atmosphärenwissenschaftler Judah Cohen, der die Einschätzung des Winterwetters auf der NH (nördliche Hemisphäre) vor allem von den Vorgängen im PW (Polarwirbel), der Kopplungen zwischen Stratosphäre und Troposphäre und der AO (arktische Oszillation) ableitet, kommt zu einem divergierenden Ergebnis:
Siehe AER
Die ZAMG geht bzgl. Temperatur von einem „Durchschnittswinter“ aus:
Quelle: ZAMG
2. Telekonnektion und betrachtete globale Einflussgrößen
Der Einfluss der Sonnenaktivität, die sich derzeit nach dem Durchlaufen eines Sonnenfleckenminimums am Beginn des Sonnenzyklus 25 befindet, ist in Zeiten der rasch voranschreitenden Erderwärmung vernachlässigbar. Die einhellige wissenschaftliche Meinung geht davon aus, dass sie von dieser überlagert wird:
Im tropischen Pazifik herrschen den gesamten Winter über LaNina Bedingungen, d.h. ENSO (El Nino Southern Oscillation) befindet sich in der Kaltphase. Die Auswirkungen auf den pazifischen Raum und das Zirkulationsmuster/Jetstream über Amerika sind gut erforscht. Durch die dominierenden atlantischen Einflüsse in EU lassen sich keine belastbaren Einflüsse auf zu erwartende GWL´s über EU ableiten, es bleibt lediglich der globale „kühlende“ Effekt von LaNina, der allerdings auch von der Erderwärmung überlagert wird:
Quelle: NOAA
Im Gegensatz zum vergangenen Winter befindet sich die QBO (quasibinäre Oszillation) heuer in der Ostphase, was der Stärke der zonalen Zirkulation im stratosphärischen PW nicht förderlich ist, und u.U. ein MW (Major Warming) im Winterverlauf begünstigt:
Quelle: NASA
Die Abweichungen der Ozeantemperaturen zeigen die LaNina Konditionen im tropischen Pazifik. Auffallend ist auch die positive Temperaturabweichung im NA (Nordatlantik) entlang der amerikanischen Ostküste. Dies könnte aufgrund der thermischen Unterschiede zur Landmasse westlich davon zu verstärkter Tiefdruckentwicklung in diesem Bereich und damit einer Dynamisierung der atlantischen Frontalzone führen. Auch im Bereich der Azoren ist ein deutlicher Temperaturüberschuss zu erkennen. Vermutlich hat dies bereits in den vergangenen Wochen zu Stärkung des Azorenhochs beigetragen (siehe weiter unten) mit Option auf Verlängerung:
Quelle: NOAA
Die Ausdehnung der arktischen Eisbedeckung ist heuer deutlich besser entwicklet, als in den letzten Jahren. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines gut organisierten troposphärischen PW und einer positiven AO (arktische Oszillation) im Frühwinter:
Quelle: Meereisportal
Die Schneedecke der NH ist im heurigen Herbst sehr verhalten gewachsen und hat – ausgenommen von Ostsibirien – erst im Laufe des November, vor allem über Skandinavien, starke Zuwächse verzeichnet. Die Unterschiede zu letzten Herbst 2020 sind in nachfolgender Grafik dargestellt. Eine Blockingsituation über dem Kontinent/Ural durch die frühe Ausbildung eines Kältehochs konnte sich im Herbst nicht ausbilden. Damit blieb bisher die Dissipation von Energie planetarischer Wellen in die Stratosphäre aus und der stratosphärische PW konnte zu einer Höchstform auflaufen. Dies könnte sich aber bald ändern und im späteren Winterverlauf den PW stören (siehe weiter unten):
Quelle: climate4you
Aufgrund der Druckverteilung im November mit positiver Geopotentialabweichung über dem NA …………………….
Quelle: NOAA
…………………….. und der von mir erwarteten Erhaltungsneigung wäre für mich eine Fortsetzung der seit Ende November andauernden feuchtkühlen W/NW-Wetterlage und Berglandwinter mit weiteren Schneezuwachs plausibel gewesen. Die Wettermodelle (GFS, IFS des EZ) haben in den letzten Tagen aber eine deutlichen Schwenk vollzogen, an dem sie mit leichten Variationen in den Modellsimulationen festhalten.
Die Ursache dürfte in den Vorgängen des PW liegen. Der außergewöhnlich stark ausgeprägte stratosphärische PW, der sich im Herbst – abgesehen von einem vorübergehenden Wärmeeinschub aus der Troposphäre über Ostasien – ohne Störungen durch „Upwelling“ entwickeln konnte, koppelt sich nun mit der Troposphäre. Die Auswirkungen werden von den Modellen zunehmend erfasst und führen zu einer deutlich erhöhten AO (arktische Oszillation) und auch NAO (nordatlantische Oszillation). Die positive Potenzialanomalie der letzten Wochen auf dem NA, was das Durchbrechen echter Westlagen verhindert hat und für die Regenerierung von Trog- und Nordwestlagen sorgte, weicht einer zonalen Zirkulation. Gleichzeitig wird ein Uralblocking nun Wellenenergie in die Stratosphäre ablenken und damit im späteren Winterverlauf Störungen im gesamten PW begünstigen. Für ME und den Alpenraum bedeutet diese Entwicklung allerdings im Verlauf der zweiten Dezemberdekade für einige Zeit eine Abkehr vom Winterwetter. Ich erwarte einen Abschnitt mit gradientenschwachem, hochdrucklastigem Wetter und milden Temperaturen im Bergland und eher kühlen Verhältnissen in inversionsgeprägten Niederungen. Ob sich diese Situation bis Weihnachten, hält ist aus heutiger Sicht nicht vorhersagbar.
Temperatur in 10hPa im stratosphärischen PW:
Sowohl die gemittelte Geopotential-/Druckstruktur der Ensembles von GFS ………………….
…………… als auch das zeitgleiche EPS von EZ zeigen die anstehende Zonalisierung über dem NA und das Uralblocking:
Dass das derzeitige Winterwetter von einem deutlich milderen Wetterabschnitt abgelöst wird, dürfte bei Betrachtung obiger Karten sicher sein. Unschärfen gibt es noch beim Timing der einsetzenden Erwärmung.
3. Persönliches Resümee
Auch wenn die globalen Rahmenbedingungen heuer für mich recht günstig aussehen, muss ich mich der Tatsache beugen, dass die Auswirkungen des starken allgemeinen Erwärmungstrends auf der Erde ein winterfeindliches Zirkulationsmuster für EU begünstigen.
Im Detail dürfte der recht zuversichtliche Winterbeginn mit ansprechenden Schneemengen im Bergland zu Beginn der zweiten Dezemberdekade in eine gradientenschwache „Sumpflage“ mit SW-Strömungskomponente übergehen.
Kontinentale Kaltlufteinbrüche spielen in diesem Winter keine Rolle. Im Kernwinter bzw. Jänner erwarte ich vorwiegend Mischwetterlagen, die maßgeblich von Azorenhoch gesteuert werden. Kurze feuchte NW-Lagen, mit Schneezuwachs in höheren Lagen wechseln mit milden eher hochdruckdominierten SW-Lagen.
Ab Februar oder auch erst im März könnte dann die oben angesprochene mögliche PW-Störung mit „minor warmings“ oder einem MW zu einer Meridionalisierung der Zirkulation und damit zu arktischen Kaltluftausflüssen in die mittleren Breiten der NH führen. Sowohl eine winterliche Phase als auch eine milde Vorderseitenlage bzw. ein Wechsel von beiden Wetterlagen ist dann in ME möglich.
Gemittelt über alle drei Wintermonate (Dez,Jan,Feb) inkl. der dem Winter zuzuordnenden ersten Märzwochen erwarte ich – bezogen auf das neue Klimamittel 1991 bis 2020 – einen mit
0,5°C – 1°C zu milden und insgesamt zu trockenen Winter.
Hochinteressante Inhalte wieder einmal. Habe die Darstellung mit dem Polarwirbel mal gleich nach Vancouver weitergeleitet, damit man dort besser versteht, weshalb es an der Westküste in diesen Breiten immer so schmuddelig im Winter ist.
LG von Anette
Lieber Franz Zeiler,
sehr interessant. Ich habe nach ein wenig googeln gelesen, dass es beim Ural Blocking (UB) auf die Frage ankommt, ob es verbunden ist „weak BKS warming“ oder „strong BKS warming“ (Quelle:https://english.cas.cn/newsroom/research_news/earth/202105/t20210531_271400.shtml)
ob das UB nach W wandern kann (und damit sibirische Kaltluft) oder nicht. Wie sieht das heuer aus?
Und gibt es heuer wieder WACS Pattern oder nicht?
Servus Marcus,
danke für den link zu der interessanten Studie.
Nach meiner Beobachtung entwickeltet sich heuer im Gegensatz zu vielen Jahren in der Vergangenheit die Eisausdehnung in der Barennts-/Karasee recht gut. Um in deiner Notation zu bleiben, entspricht die aktuelle Situation einem „weak BKS warming“. Im verlinkten Artikel wird davon ausgegangen, dass in diesem Fall keine Westverlagerung des UB und damit der kontinentalen Kaltluft erfolgt. Dieses Verhalten würde sich mit meiner Aussage „Kontinentale Kaltlufteinbrüche spielen in diesem Winter keine Rolle“ in meiner Winterprognose decken.
Das „WACS Pattern“ (warm arctic, cold sibiria) hatte heuer im Herbst einen geringeren Temperaturgradienten. Vor allem die Temps über dem Polarmeer der sibirischen Seite waren deutlich niedriger.
Möglicherweise mischen die LaNina Bedingungen in Eurasien stärker mit, als vermutet 😉
LG, Franz
Vielen Dank für die interessante Analyse !!!