Negative Temperaturabweichung im Nordatlantik

Dieser Beitrag befasst sich mit der seit Jahren beobachteten negativen Temperaturabweichung im Nordatlantik (siehe Beitragsbild, Quelle NOAA).
Er beinhaltet die finale Version einer Präsentation beim Trusted-Spotter-Network Workshops am 05.03.2016  bei der ZAMG in Wien/Hohe Warte.
Neben allgemeinen Informationen zu den globalen Meereströmungen mit dem Golfstrom im Nordatlantik und  den Ursachen für das Phänomen liegt das Hauptaugenmerk auf den  möglichen Auswirkungen auf das Wetter in Europa und dem Alpenraum.  Dabei versuche ich aus den von  mir im vergangenen Jahr 2015 beobachteten Großwetterlagen eine Systematik und Zusammenhänge abzuleiten. Daraus resultieren Fragestellungen, die im Rahmen des Workshops mit Meteorologen und Skywarn-Mitgliedern diskutiert werden.

 

29.02.2016.tsn

 

1. Thermohaline Zirkulation:

Auch die Ozeane sind durch Meeresströmungen verbunden. Sie bilden einen globalen Kreislauf großen Ausmaßes, wodurch das Erdklima maßgeblich beeinflußt wird.  Die wichtigsten Antriebsfaktoren sind Temperatur und Salzgehalt.

Das globale Wärmeaustauschband wird im Wesentlichen durch das winterliche Absinken des salzreichen und kalten Meereswassers im Nordatlantik auf 1 bis 4 km Tiefe initiiert. Das Absinken wird durch Abkühlen und eine Zunahme des Salzgehaltes durch Verdunstung  und in Eis gebundenes Süßwasser ausgelöst. Am oder nahe dem Meeresgrund fließt das abgesunkene Wasser als kalte Tiefenströmung (Nordatlantisches Tiefenwasser) bis zum Ausgang des Südatlantiks und wird dann mit dem Zirkumpolarstrom, einer kalten Meeresströmung um die Antarktis, in den Indischen Ozean und den Pazifik transportiert.
2. thermohaline zirkulation zamg

Bildquelle:  ZAMG

 

2. Golfstrom/Nordatlantikstrom

Der Golfstrom ist Teil des globalen Förderbandes. In der Nähe des Äquators wird warmes Oberflächenwasser von Westafrika in den Golf von Mexiko befördert und strömt dann an der Ostküste Amerikas als Golfstrom nach Norden und schwenkt in weiterer Folge nach Osten auf den offenen Atlantik, wo er sich in Zweige aufteilt.
Der Nordatlantikstrom ist die nördliche Verlängerung des Golfstroms. Durch die Westwinde wird er  nach Europa getrieben. Nördlich von Irland setzt sich ein Teil als Norwegischer Strom bis nach Spitzbergen fort und ein anderer Teil strömt in Richtung Island. Durch den Transport seines warmen tropischen Wassers wird die Luft über dem Meer erwärmt. Dabei transportieren die Winde die Wärmeenergie bis weit in den europäischen Kontinent hinein. Der Nordatlantikstrom wird deshalb oft als die Warmwasserheizung Europas bezeichnet.

Im Gebiet zwischen Grönland, Island und Norwegen wird der Nordatlantikstrom dann von Winden des Polarmeers abgekühlt. Ebenso bildet sich Meereis, wodurch das Wasser des Nordatlantikstroms noch salzhaltiger und damit noch schwerer wird.

Diese hohe Dichte bewirkt nun, dass das kalte Wasser bis auf drei Kilometer absinkt. Tiefenströme befördern das Kaltwasser wieder zurück in Richtung Süden zum Äquator. Dadurch entsteht ein gigantischer Sog, der erneut warmes und salzreiches Oberflächenwasser aus den Tropen anzieht.

23.02.2016.Nordatlantikzirkulation

Bildquelle: wiki.bildungsserver.de

 

Der Nordatlantikstrom bewirkt, dass die Mitteltemperaturen in West- und Nordeuropa um bis zu zehn Grad Celsius höher sind, verglichen mit Gegenden auf gleicher geographischer Breite in Nordamerika oder Asien.

 

Quelle: SST-Anomaly NOAA

 

3. Der kalte Bereich im Nordatlantik

Trotz fortschreitender globaler Erwärmung hat sich ein Teil des nördlichen Atlantiks in den letzten hundert Jahren abgekühlt (blauer Fleck). Messungen zeigen, dass sich dieser Prozess in den letzten Jahren verstärkt fortsetzt.

Dargestellte Abweichungen in den folgenden Reanalysen beziehen sich auf die Klimaperiode 1981-2010.

SST-Abweichung:

23.02.2016.sstanomaly.nh

 

Land-Ozean Lufttemperaturabweichung:

23.02.2016.tair.nh

 

Temperaturabweichung auf der 500hPa-Fläche:

23.02.2016.t500hpa.nh

 

500hPa-Geopotentialabweichung:

23.02.2016.geoanomaly

 

500hPa  Windabweichung:

23.02.2016.windanomaly.nh

Quelle: Reanalyse NOAA

 

23.02.2016.surfacetemp-anomaly.nasa

Quelle: Reanalyse NASA

 

4.  Mögliche Ursache

Verlangsamung des Golfstromes 

Auszüge Artikel Rahmstorf   Potsdam Institut Klimaforschung:

Der Grund sei, dass die große Umwälzströmung im Atlantik – die sogenannte Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört – im Durchschnitt des 20. Jahrhunderts deutlich schwächer geworden sei. Man habe „starke Belege dafür gefunden, dass dieses atlantische Förderband sich in den vergangenen hundert Jahren tatsächlich verlangsamt hat, besonders seit 1970“, sagt Rahmstorf.

Als Ursache haben die Forscher den Klimawandel im Verdacht. Der Golfstrom etwa führt warmes Wasser aus den Tropen nach Norden bis nach Europa und wärmt dadurch den Kontinent. Im Nordmeer sinkt das inzwischen abgekühlte Wasser dann in die Tiefe und strömt zurück nach Süden.

Doch durch die Erwärmung schmelze immer mehr Eis auf Grönland, das als Süßwasser ins Meer fließe. Das verändere die Dichte des Meerwassers und dadurch auch das Strömungsverhalten, schreiben Rahmstorf und seine Kollegen. Der Golfstrom werde langsamer.

Nicht alle Wissenschaftler teilen diese Theorie.

Zitat Spiegel:
Auch Michael Hofstätter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien bewertet die Rahmstorf-Studie skeptisch. Die Temperaturschwankungen könnten auch eine „vorübergehende natürliche Variation“ sein, sagte Hofstätter dem Onlinedienst des ORF. Die Messungen deckten einen zu kurzen Zeitraum ab, um konkrete Aussagen zu treffen.

Gibt es andere Einflussgrößen für dieses Phänomen, wie z.B. Veränderungen im Verhalten der Plattentektonik (Vulkanaktivität im mittelatlantischen Rücken)?

 

5.  Auswirkungen

– Ökosysteme/Fischbestand

– Regionale Erhöhung  des Meeresspiegels (amerikanische Ostküste)

– Wetter- Klimaeinflüsse auf Europa:

Der Golfstrom sorgt für das meist milde Klima in West- und Mitteleuropa. Eine Verlangsamung der Meeresströmung würde nicht nur die Meerestemperatur betreffen, sondern hätte auch Auswirkungen auf Wetter und Klima in Europa. Das relativ kalte Wasser im Nordatlantik kann bis nach Europa hinein leicht kühlend wirken, am stärksten in Küstennähe. Für Nordwesteuropa ( Schottland, Skandinavien) könnte dies einen dramatischen Klimawechsel bedeuten. Obwohl die Erderwärmung zunimmt, würden die Temperaturen auf dem europäischen Kontinent dann sinken. Manche Experten sprechen davon, dass bereits eine Verlangsamung des Golfstroms in einer Größenordnungen von 20%  eingetreten sei. Sogar von Eiszeit-Szenarien ist die Rede.

Oder wird die Erderwärmung die gesunkenen Temperaturen abfangen?

 

In der Praxis hat meine Beobachtung folgendes Bild gezeigt:
Kalter Atlantik, warmes Europa.

Genau über dem Bereich der negativen Temperaturanomalie kommt es immer wieder (siehe obige Reanalysen) zu Tiefdruckentwicklungen bzw. Austrogungen, wodurch nach Europa vermehrt subtropische Luftmassen aus SW advehiert werden. Bezeichnend dafür war der Hitzesommer 2015.

Aber auch im Winter, wo eigentlich die negative Temperaturabweichung des Oberflächenwassers stabilisierend wirken sollte, zog die Kaltwasserblase die Tiefdruckentwicklungen wie ein Magnet an und führte häufig zu  einem Zirkulationsmuster mit milder SW-Strömung über den Alpen.

Wie ist diese Wechselwirkung zwischen reduzierter Temperatur des Oberflächenwassers mit der Atmosphäre zu erklären?

Gibt es Überlagerung mit anderen Einflüssen, wie z.B. Verlangsamung des Jetstreams aufgrund der überproportionalen Erwärmung der Arktis und damit geringeren Temperaturgradienten zu den mittleren Breiten?

 

Feedback von Rainer Kaltenberger (Meteorologe/ZAMG):
Eine mögliche Konsequenz von einem „langsameren Golfstrom“ wäre (Achtung: Hypothese!), dass auf dem Weg nach Norden das schwerere, warme Salzwasser aus südlichen Breiten (eben der Golfstrom) aufgrund größerer Mengen an kaltem Süßwasser (Schmelzwasser aus Grönland bzw. der Arktis) weiter südlich absinken würde, was eine mögliche Erklärung für die Kälteanomalie darstellt. Tiefdruckgebiete entstehen bevorzugt an baroklinen Zonen, also wo Temperaturgegensätze auf engem Raum auftreten. Man müsste nachweisen, dass sich diese barokline Zone in diesem Gebiet klimatologisch weiter nach Süden verlagert hat, was vermehrte Austrogungen im Westatlantik und dadurch bei ausreichender Zonalität der Strömung tendenziell eine Verschiebung des subtropischen Hochdruckgürtels in Europa (so wie wir es letzten Sommer beobachtet haben) Richtung Nord(osten) bewirkt. Ich kenne allerdings keine Studien auf diesem Gebiet.

 

6. Exemplarische Wetterlagen

Juli 2015

29.02.2016.0715.gfs-0-6

29.02.2016.anomnight_7_2_2015

 

August 2015

29.02.2016.0815.gfs-0-6

29.02.2016.anomnight_8_3_2015

 

November 2015

29.02.2016.1115.gfs-0-108

29.02.2016.anomnight_11_5_2015

 

Dezember 2015

29.02.2016.1215.gfs-0-6

29.02.2016.anomnight_12_17_2015

 

Jänner 2016

29.02.2016.0116gfs-0-12

29.02.2016.anomnight_1_7_2016

 

Quelle:  Archiv meteociel.fr,   SST-Anomaly NOAA

 

7.. Video ARD

Leicht verständliche Darstellung des Sachverhaltes von Karsten Schwanke/ARD (Quelle: ARD-Mediathek)

 

23.02.2016.tsn-danke

3 Gedanken zu „Negative Temperaturabweichung im Nordatlantik“

  1. Servus Franz,

    stimmt, das hast du ja auch schon mal geschrieben.
    Vielleicht findet sich ja ein Student, der sich da mal hineinwühlt und das meteorologische Wissen wieder ein wenig erweitert.

    liebe Grüße,
    Gerhard

  2. Hallo Franz,

    wie immer eine sehr interessante und ausführliche Analyse.
    Eine Anmerkung dazu:
    Den empirisch festgestellten Zusammenhang kühlerer Atlantik – höhere Tiefdrucktätigkeit finde ich reichlich paradox.
    Kühleres Wasser ergibt insgesamt eine geringere Temperaturdifferenz zu kälterer Luft in der Höhe (egal wie kalt) und sollte daher doch auch geringere Konvektion und somit Tiefdrucktätigkeit bewirken.
    In umgekehrter Weise wird das ja bei den tropischen Zyklonen beobachtet – je wärmer das Wasser, umso heftiger die Konvektion und der resultierende Sturm.
    Der Beitrag des ZAMG Kollegen mit den baroklinen Zonen könnte eine Erklärung dafür sein, das kalte Wasser allein ist´s wohl nicht.

    Vielleicht ist die Sache aber ja auch umgekehrt: Dass nämlich vermehrte kalte Luftströmungen aus Norden/Norwesten (Grönland ist ja ein gewaltiges Kälteresrvoir) den Nordatlantik doppelt abkühlen. Einserseits durch die kalte Luft direkt und andererseits durch dis Abschirmung der Sonne, weil ja in der kalten Luft mehr Wolken entstehen. Wobei dann naturlich wieder die Frage nach der Ursache solcher Luftströmungen aufkommt.
    Da ich kein gelernter Meteorologe bin, weiß ich nicht, ob diese Variante überhaupt physikalisch möglich ist bzw. Sinn macht. Ich lasse mich aber gern durch gute Argumente vom Gegenteil überzeugen :-).

    lg
    Gerhard

    1. Servus Gerhard,

      danke für deinen sachlich kritischen Kommentar.
      Grundsätzlich teile ich deine Meinung. Siehe auch meine Winterprognose 2016, wo ich auf die Temperaturanomalie des Nordtlantiks eingehe und folgernde Erwartungshaltung äußere:

      Durch das kältere Oberflächenwasser reduziert sich der Temperaturgradient zu der darüber strömenden winterlichen Kaltluft. Dies wirkt meines erachtens stabilisierend und begünstigt die Ausbildung von Hochdruckgebieten und damit Blockinglagen am Atlantik. Eine nördliche und damit kalte Strömungskomponente im Alpenraum wäre die Folge.

      Gekommen ist es allerdings ganz anders, was ich durch die Reanalysen und exemplarische GWL`s dargestellt habe.

      Ich habe keine schlüssige Erklärung für die Häufung von Tiefdruckbildungen genau über dem Gebiet mit der negativen Temperaturanomalie.
      An eine Erhaltungsneigung der Zirkulation mit Kaltluftzufuhr in diesen Bereich habe ich auch gedacht.
      Die Hypothese von Rainer Kaltenberger könnte in die richtige Richtung gehen, dazu müsste man aber aufwendige Untersuchungen anhand von Daten, die nicht frei verfügbar sind, anstellen. Ein schönes Dissertationsthema für einen studierten Meteorologen.

      LG, Franz

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